Gerechtigkeit: von Nürnberg nach den Haag: die verurteilung Krimineller

Nachkriegsurteile

Noch während des Krieges und lange vor der Befreiung der Lager und der Kapitulation Deutschlands beschlossen die Alliierten, die Verbrecher vor Gericht zu bringen.

Nach dem Krieg kam die Zeit und die unerlässliche Phase der Justiz, um trotz aller Unzulänglichkeiten, ja Unklarheiten die verschiedenen Ausprägungen der Verantwortung der Kriminellen festzulegen und die Mechanismen der Zerstörung ans Licht zu bringen, die Menschen dazu veranlassen, Verbrechen gegen andere Menschen zu begehen und das Menschheitsgefüge zu schänden.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurden internationale Prozesse abgehalten: einer in Nürnberg (1945-1946), der andere, in Europa weniger bekannte, in Tokio (1946-1948).

 

Die Nürnberger Prozesse

Die Eröffnung des Nürnberger Prozesses – ina.fr

 

Am 8. August 1945 unterzeichneten die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion das Londoner Abkommen, mit dem das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs (IMG) zur Verurteilung schwerer NS-Verbrechen festgelegt wurde. Neunzehn UN-Mitgliedstaaten ratifizierten im Folgenden dieses Abkommen und gaben dem IMG so eine internationale Basis.

Diese Prozesse gegen 22 hochrangige NS-Kriegsverbrecher (Hitler war bereits tot), die als „Nürnberger Prozesse“ in die Geschichte eingingen, fand vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946 statt. Sie finden symbolisch in Nürnberg statt, jener Stadt, in der die großen nationalsozialistischen Kundgebungen abgehalten wurden.

Das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg ist der erste Rechtstext, der den Begriff von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie folgt definiert:

 

Jede unmenschliche Handlung“ wie „Mord, Vernichtung, Versklavung, Deportation (….), begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, wenn diese Handlungen oder Verfolgungen im Zusammenhang mit einer Straftat begangen wurden, die in die Zuständigkeit des Gerichts fällt“.

 

 

Die in Nürnberg zitierte Razzia von Izieu

Am 5. Februar 1946 verwies Edgar Faure vor dem Internationalen Militärgericht in Nürnberg auf den Fall Izieu. Er verliest das von Klaus Barbie unterschriebene Telegramm und gibt diesen Kommentar dazu ab:

„Ich glaube, es lässt sich sagen, dass es etwas noch Hervorstechenderes und Schrecklicheres gibt als den tatsächlichen Umstand der Entführung dieser Kinder; nämlich diesen administrativen Charakter, den nach dem Dienstweg dazu erstellten Bericht, die Konferenz, auf der verschiedene Beamte ruhig darüber diskutieren, als wäre sie ein normales Verfahren ihres Dienstes. Nämlich, dass für diese Gelegenheit und zu diesem Zweck das gesamte Räderwerk eines Staates, und ich spreche vom NS-Staat, in Gang gesetzt werden. “

 

Zwölf weitere Prozesse werden allein von den Amerikanern in den gleichen Räumlichkeiten in Nürnberg abgehalten.

Gruppiert nach Berufsgruppen wurden 144 Personen vor Gericht gestellt: Ärzte, Anwälte, leitende Beamte, Soldaten, Polizisten und Industrielle.

In den eigenen Besatzungszonen bringen die Alliierten insgesamt mehr als zehntausend Personen vor Gericht. Mehr als tausend Todesurteile wurden verhängt.

 

Die Tokioter Prozesse

Am 19. Januar 1946 wurde das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten durch Beschluss von General Mac Arthur, des Oberkommandierenden der Alliierten Streitkräfte in Japan, erlassen.

Elf Richter wurden von den Mitgliedstaaten der Fernostkommission ernannt: Australien, Kanada, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Niederlande, Neuseeland, Philippinen, UdSSR, Vereinigte Staaten. Das Gericht tagte vom 3. Mai 1946 bis zum 12. November 1948 in Tokio. Achtundzwanzig japanische Militärs bzw. hochrangige Beamte wurden angeklagt. Sieben wurden zum Tode und die anderen zu lebenslanger Haft verurteilt, mit Ausnahme einer Strafe von zwanzig und einer von sieben Jahren. Kaiser Hirohito wird nicht strafrechtlich verfolgt.

 

Nationale Prozesse

Tausende Kriegsverbrecher wurden an den Orten ihrer Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt, darunter in Polen (Prozess gegen Rudolf Höss, dem Kommandanten des KZ Auschwitz, und 40 SS-Angehörige des Lagers 1947 in Krakau), in Ungarn, Norwegen, Rumänien, der Tschechoslowakei und in der UdSSR.

1947 gründete Simon Wiesenthal (1908-2005) in Österreich ein historisches Dokumentationszentrum, das sich der Auffindung von NS-Verbrechern und dem gerichtlichen Nachweis ihrer Verbrechen widmet.

 

Deutschland

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Die Gerichte verurteilen etwa sechstausend Personen. Zwar werden lebenslange Haftstrafen verhängt, doch ist die Zahl der Urteile und Verurteilungen insgesamt recht bescheiden.

Zwischen 1963 und 1965 fanden in Frankfurt am Main Prozesse gegen etwa zwanzig Verantwortliche des Lagers Auschwitz statt. Von 1975 bis 1981 fanden in Düsseldorf Prozesse gegen Verantwortliche des Lagers Majdanek statt.

Zu weiteren Prozessen kam es Anfang der 80er Jahre. Dank des von Serge und Beate Klarsfeld geführten Kampfes wurden drei hohe Beamte, die für die Deportation von Juden aus Frankreich verantwortlich waren, vor Gericht gestellt: Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn wurden 1981 vom Strafgericht Köln zu 10, 6 bzw. 12 Jahren Haft verurteilt.

Israel

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Der Prozess gegen Adolf Eichmann (der in Argentinien aufgespürt und von dort entführt wurde) fand über mehr als vier Monate hinweg von April bis August 1961 in Jerusalem statt. Er sorgt für internationales Aufsehen. Die Anklage, die vom israelischen Generalstaatsanwalt Gideon Hausner vorgetragen werde, enthielt fünfzehn Anklagepunkte, die sich in Verbrechen gegen das jüdische Volk, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation unterteilten. Die sehr große Zahl der Zeugen, die nach einander befragt wurden, trug entscheidend zum Verständnis des konkreten Ablaufs der Judenvernichtung in Europa bei. Adolf Eichmann wurde im Dezember 1961 in allen gegen ihn erhobenen Anklagepunkten für schuldig befunden und zum Tode verurteilt und am 1. Juni 1962 gehängt.

John Demjanjuk, der beschuldigt wurde, an den Vergasungen im Vernichtungslager Treblinka in Polen teilgenommen zu haben, wurde nach seiner Auslieferung aus den Vereinigten Staaten, wo er seit Anfang der 1950er Jahre gelebt hatte, in den Jahren 1987-1988 in Israel verurteilt. Sein Todesurteil wurde vom israelischen Berufungsgericht aufgrund von Zweifeln an seiner Identität aufgehoben.

Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten wurde er 2009 erneut ausgeliefert, diesmal nach Deutschland, wo er der Mitschuld an der Vernichtung von 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor in Polen angeklagt wurde.

Frankreich

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Nach der Befreiung haben mehrere verschiedene Gerichtsbarkeiten die einzelnen französischen oder deutschen Verantwortlichen vor Gericht gestellt.

Der Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurde damals noch nicht verwendet, und die Anklage verweist nicht direkt auf die Verfolgung von Juden.

Führende Politiker wurden vom Obersten Gerichtshof der Befreiung (Haute Cour de justice de la Libération) wegen „Verrats und Zusammenarbeit mit dem Feind“ verurteilt.
Einige werden zum Tode verurteilt: Philippe Pétain am 15. August 1945; Pierre Laval, Ministerpräsident, am 10. Oktober; Joseph Darnand, Gründer des Service d’ordre légionnaire (SOL) und der Miliz, am 5. Oktober. Die Strafe Pétains wird in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Die beiden anderen werden hingerichtet. René Bousquet, Generalsekretär der Polizei der zweiten Regierung Laval, wurde am 23. Juni 1949 vor Gericht gestellt und aufgrund seiner Beteiligung an der Vichy-Regierung erging gegen ihn das Urteil der „Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte“.

 

Eröffnung des Pétain-Prozesses

DieGerichtshöfe (einer pro Berufungsgericht, die Anzahl ihrer Unterabteilungen entspricht der der Departements) urteilen über die Kollaborateure.
Die „Zusammenarbeit mit dem Feind“ wird durch diese Departementabteilungen geahndet. Auf diese Weise wurden Robert Brasillach in Paris und Charles Maurras in Lyon zum Tode verurteilt. Sowie Paul Touvier, jedoch in Abwesenheit, in Lyon und Chambéry.

Weniger schwere Vergehen wurden vor den Chambres civiques verhandelt, die Strafen aufgrund „nationaler Unwürdigkeit“ verhängten.

Die Militärgerichte verurteilen Deutsche aufgrund von „Kriegsverbrechen“. In Lyon wurde Klaus Barbie, der Leiter der Gestapo der Stadt, 1952 und 1954 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In Bordeaux wurden im Januar 1953 21 Mitglieder der Division Das Reich, darunter zwölf zwangsverpflichtete Elsässer, die für das Massaker in Oradour-sur-Glane (Haute-Vienne) verantwortlich waren, verurteilt. Im Jahr 1954 wurden in Paris Helmut Knochen, Befehlshaber der SiPo und des SD in Frankreich und SS-Standartenführer, und sein Untergebener Oberg zum Tode verurteilt; sie wurden 1958 begnadigt und 1962 nach siebzehn Jahren Haft nach Deutschland zurückgeschickt. Alois Brunner, enger Mitarbeiter Adolf Eichmanns und von Juni 1943 bis August 1944 Leiter des Lagers Drancy, wurde 1954 in Paris von einem Militärgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Im Jahr 1990 soll er sich in Syrien aufgehalten haben. Im Jahr 2001 wurde er in Frankreich erneut in Abwesenheit verurteilt. Er wurde nie gefunden.
Insgesamt werden mehr als 800 rechtmäßige Todesurteile vollstreckt. Parallel dazu wird von viertausend Hinrichtungen „im Schnellverfahren“ ausgegangen.

Erst ab den 1970er Jahren wurden in Frankreich Gerichtsverfahren aufgrund von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durchgeführt.

Der Milizionär Paul Touvier:
1973 wurde gegen Paul Touvier Klage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben.
Nach seiner Verurteilung in Abwesenheit im Anschluss an die Befreiung Frankreichs, wurde er von Staatspräsident Georges Pompidou begnadigt.
Nach einem sehr langwierigen Verfahren wurde Touvier 1981 angeklagt und 1989 in Nizza verhaftet. Im April 1992 wurde das Verfahren vom Pariser Berufungsgericht eingestellt. Doch wird die Einstellung des Verfahrens erneut aufgehoben.
Schließlich steht Touvier vom 17. März bis 20. April 1994 in Versailles vor dem Schwurgericht des Yvelines. Er wurde wegen Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit (der Hinrichtung von sieben jüdischen Geiseln in Rillieux-la-Pape) zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 17. Juli 1996 starb er im Alter von 81 Jahren in Haft.

Der hohe Beamte Maurice Papon:
1942 war Maurice Papon unter Präfekt Maurice Sabatier Generalsekretär der Präfektur Gironde in der besetzten Zone. Als Leiter der Abteilung für Jüdische Angelegenheiten überwachte er zudem die Verhaftung und die Überführung von 1.560 Juden in das den deutschen Behörden unterstehende Lager Drancy. Nach dem Krieg folgte eine glänzende Karriere als hoher Beamter: 1958 wurde er Polizeipräfekt von Paris und 1978 Haushaltsminister.
Die ersten Anzeigen gegen ihn wurden am 8. Dezember 1981 eingereicht. 16 Jahre später wurde Maurice Papon wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt. Es folgte der bis dahin längste Prozess der französischen Rechtsgeschichte, der vom 8. Oktober 1997 bis zum 2. April 1998 stattfand, und einer der wenigen, bei dem sich der Angeklagte auf freiem Fuß befand.
Er wurde zu 10 Jahren Freiheitsstrafe und zum Entzug seiner bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Das Schwurgericht konnte für 4 der 8 ihm zur Last gelegten Eisenbahntransporte eine Mittäterschaft bei der Verhaftung und Freiheitsberaubung nachweisen. Doch wurde Papon – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – von der Mittäterschaft an der Ermordung freigesprochen, da der Angeklagte nach Aussage des Gerichts den Vernichtungsplan der Nazis nicht gekannt habe.
Er wurde zu einem Schadenersatz von 4,73 Millionen Francs zugunsten der Nebenkläger verurteilt und nach einem Fluchtversuch in der Schweiz verhaftet. Daraufhinerklärt er sich zahlungsunfähig.
Papon, der am 18. September 2002 aus medizinischen Gründen aus der Haft entlassen wurde, legte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen die Voraussetzungen seiner Verurteilung ein, der jedoch lediglich in Bezug auf ein Verfahrensdetail stattgegeben wurde.
Er starb am 17. Februar 2007 in der Nähe von Paris.

Der Deutsche Klaus Barbie, Leiter der Gestapo von Lyon Nach einer mehr als zehnjährigen Jagd unter Federführung des Ehepaares Klarsfeld wurde er am 5. Februar 1983 verhaftet und nach Frankreich überführt. Er wurde 1987 in Lyon vor Gericht gestellt.
Das am 4. Juli 1987 verkündete Urteil ist das erste Urteil aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Frankreich verhängt wurde.

 

Andere Länder

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Mehrere europäische Länder haben Täter für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden, vor Gericht gestellt.

Beispielsweise Italien (Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schonenberg, die 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden), Spanien (Anton Tittjung, Urteil ausstehend), Kanada (Imre Finta, 1994 freigesprochen), usw.

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