DAS HAUS: DER ZUFLUCHTSORT IN DEN JAHREN 1943-44

Ort des Lebens

Der Alltag

Im Haus gibt es nur sehr begrenzten Komfort. Die Gebäude sind in eher schlechtem Zustand.
Es gibt außer kleinen Öfen weder Heizung noch fließendes Wasser.

Marie-Antoinette Cojean, Sekretärin der Unterpräfektur Belley, forderte die Sozialbehörden auf, das Kinderheim mit Betten, Decken, Tischen und Küchenutensilien auszustatten.

Für die Verpflegung treibt der Unterpräfekt Pierre-Marcel Wiltzer etwa vierzig Lebensmittelkarten auf. Diese reichen jedoch nicht aus, um alle Kinder zu ernähren. Miron Zlatin durchstreift mit seinem Fahrrad samt Anhänger regelmäßig das Dorf und die Umgebung um Nahrung aufzutreiben.

Die Kinder helfen bei der Zubereitung der Mahlzeiten. Im Sommer schälen sie in Gruppen Gemüse auf der Terrasse. Die Jugendlichen Théo und Paul werden von Miron Zlatin beauftragt, einen kleinen Gemüsegarten anzulegen, um das Angebot abzurunden. Sie erhalten dafür etwas Taschengeld.

Im Sommer waschen sich die Kinder am großen Brunnen. Im Winter wäscht man sich im Vorraum des Hauses, wo das Wasser in einem Kessel erhitzt wird.

Spiele, Schwimmen in der Rhône, Ausflüge und vor allem Zeichnen prägen das Leben des Kinderheims vor der Ankunft der Lehrerin im Oktober 1943. In einem Brief an Sabine erklärt Miron Zlatin, dass es sich bei diesen Kindern um „wahre Papierfresser“ handelt, die ihn unablässig um Hefte und Stifte bitten würden.

Jede Feier bietet Gelegenheit, Freundschaften zu festigen: Kinder tauschen Festtagsgrüße und Wünsche für ihren Geburtstag aus; zu Weihnachten bereiten sie Aufführungen vor und machen Kostüme.

Die Kinder fühlen sich hier immer mehr zuhause, aber das Leiden und die Angst, die mit der Trennung und Abwesenheit der Eltern verbunden sind, bleiben bestehen.

 

Kinderheim von Izieu, Sommer 1943. Von links nach rechts: Henry Alexander, Paul Niedermann, Théo Reis. ©Maison d’Izieu / Coll. Henry Alexander

„Von den Kindern erinnere ich mich besonders gut an Théo Reis, der in meinem Alter war und mit dem ich mir das Dachbodenzimmer teilte. Wir schliefen auf dem Boden, auf Matratzen, wir hatten kein echtes Bett. Ich erinnere mich an Léa Feldblum. Ich erinnere mich sehr gut an ihr damaliges Gesicht und daran, dass sie für alle ein bisschen die Mutter war und sich rührend um die Kleinen kümmerte.

Ich erinnere mich, dass wir relativ gut gegessen haben. Ich erinnere mich nicht, dass ich in Izieu Hunger litt. Tagsüber spielten wir, hatten wir Spaß, sangen wir, machten wir Ausflüge, so etwas in der Art. »

Henry Alexander, im Sommer 1943 im Kinderheim von Izieu untergekommen

 

 

Paul Niedermann, Januar 1943 © Maison d’Izieu / Coll. Henry Alexander

„Ich erinnere mich auch an mindestens zwei Badetage im Sommer an der Rhone mit Léon Reifman, wo wir kilometerweit durch die Felder gehen mussten und als wir ankamen, tja, er musste sichere Plätze ausgekundschaftet haben, weil die Rhone stellenweise ziemlich gefährlich ist, es gibt Löcher, es gibt Strudel und ich nehme an, dass er sie sehr sorgfältig ausgesucht hat, weil nie etwas passiert ist.

Von den Betreuern sprach niemand Deutsch, noch nicht einmal Jiddisch, und niemand wollte es sprechen; sie wollten, dass wir Französisch sprechen. Und es war gut. “

Paul Niedermann, im Sommer 1943 ins Kinderheim von Izieu aufgenommen

Kinderkolonie von Izieu, Sommer 1943. Von links nach rechts: Théo Reis, Paulette Pallarés, Arnold Hirsch. ©Coll. Philippe Dehan

„Und jeden Abend ging ich von Schlaflager zu Schlaflager und erzählte eine Geschichte, weil jeder einzelne Junge eine Geschichte hören wollte, aber nicht unbedingt die selbe. Und dort, unter diesem Fenster, war Émile (Zuckerberg).

Und ich beendete meine Runde dort, weil Émile in den Schlaf gewiegt werden musste. Er war ein kleiner blonder Junge mit sehr blauen Augen, der stets blaue Kleidung trug. Er war süß, bezaubernd; aber er war traumatisiert, weil er gesehen hatte, wie seine Eltern verhaftet wurden. “

Paullette Pallarés-Roche, Hilfsaufseherin im Kinderheim im Sommer 1943

Freundschaften schließen, Briefe an die Familie.

Einige Jugendliche wie Paul, Théo oder Henry verstanden, dass sie ihre Familien nie wieder sehen würden. Die Kleineren hatten noch Hoffnung.
Sobald sie Kontakt zu ihnen hatten, schrieben die Kinder Briefe, schickten sie Zeichnungen, um ihnen ihren Alltag, ihre Bedürfnisse und ihre Hoffnungen zu schildern.
Als Erinnerung an die im Kinderheim von Izieu verbrachte Zeit oder als Freundschaftsversprechen tauschten die Jugendlichen Fotos oder signierte Portraits aus. Am Abend stellten sie sich, häufig auf der Terrasse, ihre gemeinsame Zukunft vor.

 

Kinderheim von Izieu, Sommer 1943. Henry Alexander, © Maison d’Izieu / Coll. Henry

 

„Haben wir über unsere Eltern oder unsere Vergangenheit gesprochen, über solche Dinge? Ich weiß, dass wir über die Zukunft gesprochen haben, dass wir viel Hoffnung hatten. Wir sprachen über eine Zukunft, dass wir es schaffen würden, heiraten, Familien gründen würden; aber Théo und ich wussten, dass wir unsere Familien nie wiedersehen würden bzw. dass es eines Wunders bedurfte, um sie wiederzusehen. “

Henry Alexander, im Sommer 1943 ins Kinderheim von Izieu gekommen

 

Die Schule

Klassenfoto in der Schreinerei, Collège Moderne de Belley, November 1943. Henri-Chaïm Goldberg. ©Coll. Roger Perticoz

Ab Mai 1943 besuchten die Jugendlichen Max-Marcel Balsam, Marcel Bulka, Maurice Gerenstein und Henri Goldberg aus dem Kinderheim von Izieu als Internatsschüler das Collège Moderne von Belley. Während der Ferien kehrten sie nach Izieu zurück. Gaston Lavoille organisierte als Schuldirektor ihre Aufnahme sowie die Aufnahme durch die anderen Schüler.

Sabine Zlatin wollte, dass auch die anderen Kinder zur Schule gehen. Pierre-Marcel Wiltzer, der Unterpräfekt von Belley, unternahm auf ihren Wunsch hin die notwendigen Schritte, um die Einrichtung einer Schulklasse im Kinderheim zu ermöglichen.

Gabrielle Perrier war 21 Jahre alt, als das akademische Inspektorat sie am 18. Oktober 1943 für die Dauer des Krieges zur Lehrerin in Izieu bestimmte.

Das Klassenzimmer befindet sich im ersten Stock des Hauses. Es wurde mit Hilfe des Akademieinspektors Gonnet und des Unterpräfekten Wiltzer eingerichtet. Einige Gemeinden liehen Schreibtische, ein paar Bücher, Schiefertafeln, eine Weltkarte. Gabrielle Perrier nutzt diese bescheidenen Materialien, um jeden seinem Alter und seiner Vorbildung entsprechend zu unterrichten.

In seinen Briefen an seine Eltern beschreibt Georgy Halpern seinen Schulalltag akribisch:

 

„Die Klasse ist hübsch, es gibt zwei Tafeln, es gibt einen Ofen, Karten, Bilder an den Wänden, es gibt 4 Fenster, es gefällt mir gut, es gibt 15 Tische“; „(….) am Morgen schreiben und rechnen wir. Am Nachmittag haben wir ein Diktat oder eine Grammatikaufgabe und wenn wir es können, lernen wir die Lektionen, Wiederholungen, Verben, das Einmaleins von 1 von 2 von 3 von 4 von 5 von 7 von 8 von 9 von zehn. Wir schreiben Klassenarbeiten ich hatte 64 einhalb Punkte Ich war Dritter von 8. “

Gabrielle Perrier © Coll. Gabrielle Perrier Tardy

„Ich war am ersten Schultag sehr bewegt, als ich in Gegenwart von vierzig Kindern jeden Alters war, von denen die ältesten fast schon Jugendliche waren.

Ich bemerkte ihre stolze, manchmal ernste Haltung und verstand, dass man ihnen nichts vormachen konnte! (….) Diese Kinder hatten gelitten, waren früher erwachsen geworden. Sie haben mir nie gesagt, dass sie Juden sind: Sie wollten und konnten ihr Geheimnis bewahren. (…)

Es war eine Klasse wie alle anderen, die ich da hatte. Außerdem sprachen diese Kinder alle Französisch, sie sprachen alle akzentfrei Französisch. (….) Einige von ihnen waren sehr klug, es gab sogar ein paar ganz bemerkenswert schlaue Köpfchen. “

Gabrielle Perrier-Tardy (1922-2009), Lehrerin im Kinderheim von Izieu

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